Dank seiner atemberaubenden Landschaften zog Korfu schon so manchen Künstler und Dichter an. 1877 besucht der bekannte irische Dichter Oscar Wilde Griechenland und erreichte zuerst die Insel Korfu. Dort, auf dem Berg Agioi Deka, schreibt er das Gedicht „Santa Decca“ nach dem Namen des Berges, welcher mit Zehn Heilige übersetzt werden kann.
Der Berg Agioi Deka liegt im südlichen Teil der Insel und misst 576 Metern. Die Aussicht mit Blick auf die Stadt Korfu ist einfach atemberaubend. Der Name des Berges leitet sich von dem gleichnamigen Dorf ab, das an seinen Hängen gebaut wurde. Agioi Deka wurde 1503 in historischen Dokumenten erwähnt. Es ist ein für Korfu typisches Dorf, mit vielen alten Häusern, die in der traditionellen Architektur der Insel gebaut wurden. Die Geschichte des Dorfes Agioi Deka ist direkt mit der Insel Kreta verwoben. Während der Belagerung der Araber im Jahr 823 verließen viele Kreter ihre Insel und emigrierten in verschiedene Regionen Griechenlands. Einige von ihnen verschlug es nach Korfu, und sie brachten die Ikone von Agioi Deka mit. Die Ikone stellt die zehn Märtyrer dar, die auf Kreta während der römische Zeit gelitten hatten, als der römische Kaiser Decius Christen verfolgte. Sie ließen sich in diesem Gebiet nieder und gründeten dieses Dorf. Die Kirche der Heiligen Zehn Märtyrer im Dorf gab dem Ort seinen Namen.
Oscar Wilde (1854–1900) war ein irischer Schriftsteller, Dichter, Dramatiker und Kritiker. Heute ist er vor allem durch sein Buch „Das Bildnis des Dorian Gray“ bekannt. Seine Eltern waren berühmte Dubliner Gelehrte mit englischen Wurzeln. An der Universität studierte er klassische Literatur, was davon zeugt, dass er schon früh Interesse an der griechischen Kultur und Geschichte hatte. Er ist bekannt für seine Mitwirkung an der wachsenden ästhetischen Bewegung, die von zwei seiner Lehrer geschaffen wurde. Nach der Universität zog Wilde nach London und trat in die oberen akademischen und sozialen Kreise ein. Er war bekannt für seine eleganten Looks und klugen Dialoge und wurde schnell zu einer der berühmtesten Persönlichkeiten seiner Zeit.
Als er das Trinity College abschloss, wandten sich seine Interessen dem Katholizismus zu. Er lernte eine Jesuitengemeinschaft im Norden Dublins kennen und nahm an katholischen Messen teil.
Oscar Wilds Geschichte mit dem Katholizismus beginnt in Irland. Im Sommer 1859 führte seine Mutter Jane Wilde ihre Söhne im Urlaub an der Südküste Irlands in das katholische Gebet ein.
Aber sein Vater, Sir William Wilde, in der Hoffnung, das theologische Interesse seines Sohnes auszulöschen, fand es eine gute Idee, Oscar nach Oxford zu schicken. Er konnte nicht wissen, dass die Bekehrung zum Katholizismus unter Oxford-Studenten und Gelehrten weit verbreitet war.
Wilde studierte in Oxford Klassische Literatur und bekam so Interesse am antiken Rom. Zum größten Teil betrachtete Wilde den Katholizismus als bewundernden Außenseiter; er hatte nicht die finanziellen Mittel, sich gegen den Willen seines Vaters zu wehren, und er verstand, dass er, wenn er zum Katholizismus konvertieren würde, er dies auf die Gefahr hin tat, von der Familie abgeschnitten und enterbt zu werden.
Als sein protestantischer Kommilitone Ward Rom besuchte, ermutigte Wilde ihn, den Geist des Katholizismus zu akzeptieren. Obwohl Wild nicht in der Lage war, diese Gefühle so zu erleben, wurde er durch die Tatsache getröstet, dass Ward den Traum für ihn leben konnte.
Er hatte beabsichtigt, Ostern in Rom zu verbringen, aber wegen seiner schlechten finanziellen Lage hatte er den Plan so gut wie aufgegeben und sich bei Ward entschuldigt. Aber ein anderer enger Freund, David Hunter-Blair, hatte Mitleid mit Wilde und gab ihm 60 Pfund, damit er die Heilige Stadt besuchen konnte.
Hunter-Blair war selbst zum Katholizismus konvertiert und wünschte sich, dass das Klima in Rom Wilde die Kraft geben würde, sich voll und ganz der Religion zu widmen. In Begleitung von John Petland Mahaffy und George MacMillan machte sich Wilde auf den Weg nach Genua und schließlich nach Rom. Mahaffy hatte aber andere Pläne. Als er erkannte, dass sein ehemaliger Schüler kurz vor der Bekehrung stand, intervenierte Mahaffy, indem er Wilde dazu überredete, nach Griechenland zu fahren, anstatt nach Rom zu reisen.
Am Ostersonntag, dem 1. April 1877, trafen Oscar Wilde und sein Tutor Mahaffy auf Korfu ein. Sein Dozent, der Griechenland zwei Jahre zuvor zum ersten Mal besucht hatte, wollte Wildes Bekehrung zur römisch-katholischen Kirche verhindern.
Mahaffy, ein christlicher Protestant, behauptete, dass der Anblick der Akropolis, der Kontakt mit dem olympischen Heiligtum und der Besuch in Mykene, wo sie die Chance hätten, Schliemanns neueste Entdeckungen zu bewundern, dem 23-jährigen Oscar helfen würden, heidnische Ansichten zu entwickeln, und dass dies ihn vor dem römischen Katholizismus „retten“ würde. Diese Reise war nicht Oscars erste Berührung mit der griechischen Kultur. Seine Mutter hatte schon in jungen Jahren Griechisch beigebracht. Nach dem Tod ihres Mannes saß sie im Wohnzimmer des Hauses am Merion Square und las laut auf Griechisch. Drei Jahre vor seiner Reise nach Griechenland erhielt Oscar während seines Studiums am Trinity College in Dublin einen Preis in Altgriechisch. Er sagte: „Ich war fast 16 Jahre alt, als ich anfing, das Wunder und die Schönheit des antiken griechischen Lebens zu erkennen“. Als Liebhaber der Klassiker konnte Wilde der Chance, nach Griechenland zu reisen, nicht widerstehen und wollte Mahaffy trotz der damit verbundenen Risiken folgen.
Im Morgengrauen wachten Oscar und sein Professor Mahaffy auf und sahen Korfu vor sich. Oscar Wilde spazierte durch Korfu und dessen Dörfer und schrieb ein Gedicht über eines der Orte. Die Quelle seiner Inspiration war das Dorf Agioi Deka (Zehn Heilige), wo er das Gedicht „Santa Decca“ schrieb, das erstmals 1881 in Wildes Anthologie erschien. In Santa Decca verarbeitete Wilde Griechenland, beginnend mit seiner Ankunft auf der Insel Korfu. Das Gedicht endet mit einem Postscript, das auf Korfu verweist. Der Titel des Werkes ist nach dem Berg Agioi Deka benannt.
„Die Götterwelt ist tot: schon lang vermisst
Die herbe Pallas den Olivenkranz,
Persephone das Korn.
Im Mittagsglanz Das Hirtenlied die Furcht vor Pan vergisst,
Denn Pan ist tot!
Mit ihm erstorben ist Der heiße Jubel, den der Wald einst sah,
Und keine Quelle ist für Hylas da;
Denn Pan ist tot, und Gott ist Jesus Christ.
Und doch – vielleicht auf diesem Eiland hier Liegt,
kauernd der Erinnerung bitteren Frucht,
Irgendein Gott versteckt im Asphodill.
Ach Lieb, und wäre wirklich einer hier,
So trieb uns wohl sein Zorn zu schneller Flucht.
Doch horch, da raschelts! Lauschen wir – sei still!
Santa Decca ist ein trauriger Abgesang auf heidnische Götter, die durch das Christentum ersetzt wurden. Das Wissen, dass es niemanden gibt, der die Riten der antiken griechischen Religion weiterführt, ist für Wilde traurig. In vier Strophen spricht er dramatisch den Tod alter Götter aus. Während Wilde in Oxford stark vom Katholizismus beeinflusst wurde, beschäftigt sich sein Gedicht mit dem Aufstieg des Christentums, freut sich aber nicht über sein Kommen.
Sobald er Korfu erreichte, wandte sich Wilde den Heiden zu und wollte wissen, ob die alten Götter verschwinden mussten und ob dieser Verlust wiedererlangt werden konnte.
Im Kontext der romantischen hellenischen Wiedergeburt unterhält die zweite Strophe die Vorstellung, dass einer der alten Götter „in der Asphodel“ verborgen bleibt und die bittere Frucht der Erinnerung kaut. Es besteht die Hoffnung, dass „ein Gott“ unerwartet vor dem Reisenden erscheinen könnte, während er um die „vom Meer in Trance gesetzte Insel“ wandert. Der Gedanke, zuzuschauen und darauf zu warten, dass der heidnische Gott von den Toten aufersteht, bedeutet, dass Christus nicht genug für Wilde ist. Basierend auf den Oxford-Briefen wissen wir, dass der junge Mann, der nach Griechenland reiste, viele Jahre damit verbrachte, sich über seine Loyalität zum Katholizismus zu quälen; dieses Gedicht bestätigt, dass sein Glaube an Christus und den Katholizismus instabil war. Christus mag der Gott und der König sein, den der moderne Mensch anbetet, aber der Dichter in Wilde war nicht erfüllt. Er weigerte sich, die griechischen Götter gehen zu lassen und ärgert sich darüber, dass die Ankunft Christi die alten Götter sterben lies oder dazu führte, dass sie sich in der Erde verstecken musste. Dennoch unterstützt Santa Decca die Verleugnung Christi nicht; es spiegelt eher Wildes Wunsch nach einer Verbindung der christlichen und der heidnischen Tradition wider. Es ist das Klagelied eines zeitgenössischen Romantikers, der verzweifelt, weil die alten Wege vergangen sind und nur in seinem Kopf existieren.
Von Korfu segelte Wilde an den Ionischen Inseln vorbei zum Festlandhafen Katakolon, der heute als Tor zu Olympia gilt. Zur Zeit von Wildes Reise gruben deutsche Archäologen den ursprünglichen Ort der Olympischen Spiele aus. Kurz vor seinem Tod änderte Wilde seine religiösen Ansichten formell und wurde katholisch getauft
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